BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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Zu dieser Zeit war es aus religiösen Gründen strengstens verboten, Autopsien am Menschen vorzu-
nehmen. Dennoch ist in dem Corpus Hippocraticum, einer Sammlung von mehr als 60 antiken
medizinischen Texten, die dem Arzt Hippokrates von Kos (ca. 460-370 v. Chr.) zugeordnet wird, das
Gehirn als der Sitz der Empfindung und der Intelligenz beschrieben.
Platon (428/427-348/347 v. Chr.) und sein Schüler Aristoteles (384-322 v. Chr.) sind vermutlich die
ersten, die sich konkrete Gedanken zu der Fragestellung gemacht haben, in welchem Verhältnis Körper
und Geist zueinander stehen – ein Problem, das bis heute viele Forscher beschäftigt. Platon und sein
Schüler Aristoteles nahmen beide an, dass die menschliche rationale Seele (Geist) immateriell und
unsterblich ist, während der Körper materiell und sterblich ist. Platon sah sogar den Körper als
„Gefängnis“ des Geistes an. Er gilt als einer der Hauptvertreter des Dualismus, eines Konzepts, das
Körper und Geist als zwei voneinander völlig unterschiedlichen „Wesensheiten“ sieht. „Körper und Geist
sind miteinander interagierende Entitäten“ lautet die Aussage, der sich viele Jahrhunderte später auch
René Descartes, Karl Popper und John Eccles anschlossen.
Erst zur Zeit von Herophilos von Chalkedon (ca. 325-255 v. Chr.) wurden erste Autopsienam
menschlichen Gehirn durchgeführt, die die grobe Struktur des Gehirns erkennen ließen. Aus seinen
Untersuchungen zog Herophilos die Vermutung, dass die menschliche Intelligenz ihren Sitz nicht im
Hirngewebe, sondern in den mit Flüssigkeit gefüllten Hirnkammern, den sogenannten Hirnventrikeln habe.
Später unterschied Erasistratos (ca. 305-250 v. Chr.) motorische und sensorische Nervenbahnen, die er
bei seinen neurophysiologischen Experimenten, wie z.B. Hirnschnitten und artifizielle Läsionen, entdeckte.
Trotz der bis dahin gewonnenen Erkenntnisse konnte die alte Vorstellung, dass Sinneswahrnehmung und
Verstand dem Herzen zuzuordnen sei, lange Zeit nicht verdrängt werden.
Einer der bekanntesten Vertreter dieser These war Aristoteles. Er ging davon aus, dass das Gehirn
lediglich eine Kühlfunktion für das Blut habe, welches sich erwärmt, während es durch den Körper fließt.
Platon hingegen nahm das Gehirn als Sitz des „edlen“, d.h. geistig-rationalen Teils der Seele an.
In der nachchristlichen Zeit wurde der griechische Arzt Galen (um 129-216 n. Chr.) zum bedeutendsten
Gehirnforscher der Antike seit Hippokrates. In seinen über 400 medizinischen und philosophischen
Schriften entwarf er ein Gesamtbild der Medizin, das die Anatomie und die Physiologie bis in die Neuzeit
beeinflusste – auch wenn er bei vielen seiner Annahmen aus heutiger Sicht falsch lag. So beschrieb er als
erster das sympathische Nervensystem, interpretierte seine Funktion jedoch anders als heute.
Hauptort seines Wirkens war Rom, wo zur damaligen Zeit jedoch ein Autopsieverbot herrschte, wodurch
seine Arbeit erschwert wurde. Galen hatte jedoch den glücklichen Umstand, dass er verletzte Gladiatoren
untersuchen durfte und es ihm dadurch möglich war, seine in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse
auf den Menschen zu übertragen.
In Anlehnung an Herophilos konzentrierte er sich bei seiner Arbeit vor allem auf die mit Flüssigkeit
gefüllten Hirnkammern. In diesen Hirnkammern, den Ventrikeln, vermutete er eine Substanz, die in der