BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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unter verbesserten Bedingungen reproduzieren konnte, mussten auch die Kritiker eingestehen,
dass Galvani recht hatte.
Eine weitere revolutionäre Erkenntnis des 18. Jahrhunderts war die funktionelle Gliederung der
Großhirnrinde, die der Schwede Emanuel Swedenborg (1688-1772) im Jahre 1740 erstmals detailliert be-
schrieb. Er beobachtete bei örtlich begrenzten Hirnverletzungen Funktionsausfälle und stellte Vermutun-
gen zur Lokalisierung des motorischen Cortex und den Funktionen des präfrontalen Cortexan. Seine
Erkenntnisse stimmen erstaunlich gut mit dem heutigen Wissenstand überein. Allerdings blieben seine
Werke weitestgehend unbekannt und hatten somit zunächst keinen Einfluss auf die wissenschaftliche
Entwicklung.
Erst der deutsche Anatom Franz Joseph Gall (1758-1828) konnte mit der Idee der funktionellen Gliede-
rung des Gehirns öffentliches Interesse wecken. Durch anatomische Beobachtungen kam er zu der
Überzeugung, dass die verschiedenen Areale des Großhirns mit unterschiedlichen Strukturen des
Hirnstamms verbunden sind.
Populär wurde Gall vor allem durch seine These, dass individuelle Begabungen und Charakterzüge auf
eine besonders intensive Ausprägung der jeweils zuständigen Hirnregion zurückzuführen seien und in der
Form des Schädelknochens zum Ausdruck kämen. Im Laufe der Zeit stellte sich jedoch heraus, dass
diese Schädellehre (Phrenologie) wissenschaftlich nicht haltbar war und sie verlor bis etwa Mitte des 19.
Jahrhunderts völlig an Bedeutung. Hierdurch kamen nicht nur Gall, sondern auch seine völlig zutreffende
Annahme über die funktionelle Gliederung des Gehirns in Verruf.
1.7
Das 19. Jahrhundert
Nachdem Gall mit seiner phrenologischen Theorie gescheitert war, trat auch seine Theorie der funktionel-
len Gliederung (Lokalisationstheorie) des Gehirns zunächst in den Hintergrund. Erst als Paul Broca (1824-
1880) im Jahre 1861 eine Autopsie an einem Patienten vornahm, der Sprache zwar noch verstehen, aber
nicht mehr formulieren konnte, geriet die Lokalisationstheorie wieder in den Blickwinkel der Wissenschaft.
In dem Gehirn des Patienten fand Broca eine klar umgrenzte Schädigung im Bereich des linken
Frontallappens und konnte dadurch den Sitz des motorischen Sprachvermögens genauer lokalisieren als
jemals zuvor. Dieses Areal trägt bis heute seinen Namen - "Broca-Areal".
Auch stellte Broca fest, dass bei einigen seiner Patienten Fähigkeiten, die durch Hirnverletzungen verloren
gingen, im Laufe der Zeit wieder zurückkehrten.
Broca vermutete daher bereits damals, dass es Mechanismen der kortikalen Plastizität gibt, mittels derer
andere Hirnareale die Aufgaben von ausgefallenen Hirnbereichen übernehmen können.