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BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
Lage sei, Sinneswahrnehmungen durch die angeblich hohlen Nerven zum Gehirn zu transportieren. Diese
Substanz nannte er Pneuma psychikon. Für Galen waren die Ventrikel in erster Linie Speicherkammern
für das Pneuma, und er ging davon aus, dass diesem Pneuma eine wesentliche Aufgabe bei kognitiven
Prozessen zuzuordnen sei.
Schon bald entwickelten Kirchenväter eine Synthese aus Galens medizinischen Erkenntnissen und dem
damaligen durch die Kirche geprägten Menschenbild. Im Verlaufe dieser gedanklichen Entwicklung
ordnete man den Ventrikeln spezifische Funktionen zu, bis sie zuletzt zum Sitz der unsterblichen Seele er-
nannt wurden.
In dieser medizinisch-kirchlichen Mischform wurde Galens Lehre schließlich zum Dogma erhoben, das die
Vorstellung vom Menschen bis in das 18. Jahrhundert hinein prägte und beherrschte.
1.3
Das Mittelalter
Im Mittelalter stagnierte in den westeuropäischen Ländern
die Gehirnforschung. Stattdessen beschäftigte man sich intensiv mit der klösterlichen Heilkräuterkunde,
wodurch aber nur wenige Erkenntnisse für die Gehirnforschung entstanden.
Aus dieser Zeit ist lediglich Albert Magnus zu nennen, der um 1250 der Ventrikellehre weitere
Beobachtung schenkte. Nach seiner Auffassung floss das Pneuma psychikon von einem Ventrikel in den
nächsten, ähnlich wie bei einem römischen Brunnen, und erzeugte dadurch den Prozess von der
Wahrnehmung über das Denken zur Erinnerung.
Während in Europa die Gehirnforschung fast zum Erliegen kam, wurde sie um so intensiver in den
arabischen und byzantinischen Regionen fortgesetzt. Etwa um 900 untersuchte Rhazes das Gehirn
genauer und beschrieb 7 der zwölf Hirnnerven und 31 der aus dem Rückenmark entspringenden
Spinalnerven.
Rund 100 Jahre später, also um die Jahrtausendwende, beschrieb Abdulaziz bereits erste chirurgische
Eingriffe zur Heilung neurologischer Erkrankungen des Zentralnervensystems. Ebenfalls zu dieser Zeit gab
es aber auch schon Vermutungen über die Funktionsweise des peripheren Nervensystems.