BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
1.4
Die Renaissance
Nach den eher geringen Forschungsaktivitäten im mittelalterlichen Europa gingen während der
Renaissance von Italien erste neue Impulse aus. Diese wurden möglich, weil es nach und nach erlaubt
wurde, menschliche Leichen zu sezieren.
So entstand 1316 das erste Werk über anatomische Sektionen seit Beginn des Mittelalters, geschrieben
von dem Arzt Mondino dei Liuzzi (um 1275-1326) und veröffentlicht unter der Bezeichnung "Anathomia
Mundini".
1490 konnte Leonardo da Vinci (1452-1519) nach zahlreichen Sektionen sehr realistische Zeichnungen
anatomischer Strukturen entwerfen. In seinem Manuskript, das später die Bezeichnung "Codex Windsor"
erhielt, stellte er als erster einen sagittalen (senkrecht von vorne nach hinten verlaufend) Hirnschnitt dar.
1536 gelang es dann dem deutschen Anatom Johann Dryander (1500-1560) einen ersten transversalen
(querausgerichteten) Hirnschnitt zu zeichnen.
Durch die vielen neuen Erkenntnisse wurden ab den 16. Jahrhundert die Thesen Galens aus der Antike,
die für viele noch immer das Maß aller Dinge waren, immer öfter in Frage gestellt. Vor allem der
Flame Andreas Vesalius (1514-1564) widersprach den Thesen Galens und bezweifelte die Lokalisation der
Hirnfunktionen in den Ventrikeln. Auch konnte er nachweisen, dass selbst dicke Nervenbahnen keine
Hohlräume enthielten, in denen das von Galen beschriebene Pneuma hätte fließen können.
Vesalius unterschied bereits zwischen Grauer und weißer Substanz der Hirnrinde und beschrieb sogar
Zirbeldrüse und Brücke (auch unter der Bezeichnung Pons bekannt – einem Teil des Hirnstamms), die
damals einzig bekannten Hirnstrukturen, die scheinbar nicht doppelt, also in jeder Gehirnhälfte,
vorkommen. Natürlich sind auch diese Strukturen wie alle Hirnstrukturen paarig angeordnet, nur liegen sie
eng an der Mittelllinie und erscheinen unpaarig.
Die Erkenntnisse
von
Vesalius wurden zunächst nur von einem geringen Teil der Fachwelt akzeptiert.
Rund 20 Jahre nach den Veröffentlichungen
von
Vesalius erschien 1564 das Werk von Bartolomeo
Eustachi, das deutlich detaillierter war und in dem erstmals sogar der Aufbau und die mögliche
Funktionsweise des akustischen Sinnesapparates beschrieben war. Nach Eustachi ist bis heute die
Eustachische Röhre benannt, die Ohr und Mundraum verbindet.
1.5
Das 17. Jahrhundert
Anfang des 17. Jahrhunderts entdeckte der englische Arzt William Harvey den Blutkreislauf. Diese Entde-
ckung sorgte für großes Aufsehen, denn bis dahin glaubte man, dass das Blut immer wieder neu
produziert und von den Organen verbraucht werde.