BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
Ausfälle neuronaler Systeme auch ganz andere Dimensionen als bei anderen Systemen. Das Gehirn ist
besonders schutzbedürftig.
Die Zellen, die Blutgefäße auskleiden, liegen normalerweise locker aneinander, so dass die meisten
Moleküle, aber auch bestimmte Zelltypen, zwischen Blutstrom und dem umliegenden Gewebe hin und
her wandern können. Im Gehirn sind diese Epithelzellen mit Hilfe bestimmter Verbindungsstrukturen, den
Tight Junctions, jedoch sehr dicht aneinander „geklebt“ und bilden eine wirkungsvolle mechanische
Barriere. Besonders große Moleküle können nicht mehr ungehindert die Blutbahn verlassen. Für die
Funktionsfähigkeit des Gehirns wichtige Moleküle, wie beispielsweise Glucose, werden aktiv und selektiv
durch die Epithelzellen ins Gehirn hinein transportiert. Außerdem gibt es an bestimmten Stellen „Lücken“
in diesem Sicherheitssystem, damit große Moleküle wie Geschlechtshormone gezielt in die
entsprechenden Hirnareale eindringen können. Die grundsätzliche Wirksamkeit von Psychopharmaka und
anderen psychoaktiven Substanzen beruht darauf, dass die Wirkstoffe in der Lage sind, die Blut-Hirn-
Schranke zu überwinden. So kann Methylamphetamin, auch bekannt als Crystal Meth, die Blut-Hirn-
Schranke leichter passieren als die unmethylierte Variante, das Amphetamin. Umgekehrt stellt die
Undurchdringlichkeit der Blut-Hirn-Schranke für die pharmazeutische Forschung jedoch auch ein sehr
großes Problem dar, z.B. im Zusammenhang mit der Verabreichung von Dopamin bei der Parkinson-
Erkrankung. Dopamin kann die Blut-Hirnschranke nicht passieren, und deshalb wird eine Vorform, das L-
dopa (auch Levodopa genannt), verabreicht, das dann im Gehirn zu Dopamin verstoffwechselt wird.
Neben den Epithelzellen sind noch zwei weitere Zelltypen an der Blut-Hirn-Schranke beteiligt: die
Pericyten und die Astrocyten. Pericyten sind kleine, ovale Zellen, die besonders an den Kontaktstellen
zwischen benachbarten Epithelzellen mit diesen verbunden sind, und zwar über verschiedene
Kontaktstrukturen. So gibt es kanalbildende Verbindungsstücke, über die Substanzen ausgetauscht
werden können, aber auch nietenartige Strukturen. Dadurch, dass Pericyten zu den kontraktilen Zellen
gehören, sind sie in der Lage, den Durchmesser der von ihnen umhüllten Blutkapillare und somit auch
den Blutdruck zu verändern. Diese Zellen haben noch eine weitere besondere Eigenschaft: sie können
sich wie Immunzellen verhalten, indem sie wie Makrophagen Substanzen und Strukturen „fressen“ und
indem sie Antigene präsentieren können. Die bereits erwähnten Astrocyten, die zu den Gliazellen
gehören, bilden die dritte Gruppe. Sie bedecken mit ihren Endfüßchen fast die gesamten Oberflächen der
Hirn-Kapillare. Sie schütten eine Mischung von Botenstoffen aus, die die Durchlässigkeit der
Endothelzellen verändern. Endothelzellen wiederum schütten ein Zytokin aus, das die Differenzierung der
Astrocyten aus neuronalen Stammzellen initiiert. Die Hauptaufgabe der Astrocyten besteht jedoch darin,
die Neuronen mit Nährstoffen zu versorgen. Außerdem produzieren sie das Molekül Cholesterin, das ein
wesentlicher Bestandteil des Myelins ist. Cholesterin kann die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren und
muss daher im Gehirn produziert werden.