Grundlagen der Neurowissenschaften - page 39

BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
5.2
Das Nervensystem der Wirbeltiere
Bereits bei den Wirbellosen haben sich zwei Entwicklungstrends gezeigt, die sich bei den Wirbeltieren
fortsetzen: eine zunehmende Arbeitsspezialisierung von einzelnen Neuronen und Neuronengruppen und
eine Zentralisierung von Neuronengruppen am Kopfende. Letztgenannte Entwicklungsrichtung wird auch
als Cephalisation bezeichnet. Je komplexer die morphologische Grundstruktur eines Organismus, je
komplexer seine Sinnesorgane sind, desto aufwändiger werden auch die Regulierungen von Prozessen
und die Koordinierung und Bearbeitung von Signalen. Die Komplexität, die Funktionalität und das
Leistungsvermögen des Nervensystems eines Organismus ist daher – als Teil des Ganzen – immer auch
abgestimmt auf die Komplexität und Funktionalität des Gesamtorganismus sowie auf diejenige seiner
Umwelt.
Betrachten wir nun die Grundstrukturen des Nervensystems der Wirbeltiere, zu denen unsere eigene
Gattung ebenfalls gehört.
5.2.1
Der allgemeine Aufbau des Nervensystems
Um sich im Nervensystem der Wirbeltiere zurecht finden zu können, erscheint es sinnvoll, zunächst einige
Basisbegriffe zu erläutern: Eine Anhäufung von Zellkörpern wird als Nucleus bezeichnet (Achtung: nicht
verwechseln mit dem DNA-haltigen Zellorganell gleichen Namens!), wenn die Zellgruppe Bestandteil des
ZNS ist. Ist die Anhäufung von Somata jedoch Teil des peripheren Nervensystems, wird sie Ganglion
genannt.
Auch für Axonbündel gibt es zwei unterschiedliche Begriffe: die des ZNS werden als Trakt bezeichnet,
und Bündelungen von Axonen im PNS als Nerv (Achtung: auch hier droht eine Verwechslungsgefahr mit
Begriffen wie Neuron oder Nervenzelle!). Die folgenden Fachtermini beziehen sich auf Achsen und
Positionen im Raum. Das Nervensystem der meisten Wirbeltiere mit einem längsgestreckten Körper hat
drei Achsen: anterior-posterior, dorsal-ventral und medial-lateral. Anterior bedeutet in Richtung Nase
bzw. Kopf, posterior in Richtung Schwanz. Dorsal meint in Richtung des Rückens, und ventral in
Richtung des Brustkorbs bzw. des Bauches. Mit medial meint man in Richtung der Körper bzw. (Gehirn-
)mitte, mit lateral in Richtung der seitlichen Körper (bzw. Gehirn-)ränder. Außerdem gibt es noch zwei
Begriffe für die Angabe von Entfernungen: proximal, was „nah“ bedeutet, und distal, was „entfernt“
bedeutet. Vergleicht man das Koordinatensystem eines Vierbeiner mit dem eines Zweibeiners, stellt man
schnell fest, dass es Probleme gibt: Ventral ist beim Vierbeiner „unten“, beim Menschen „vorne“, dorsal
ist beim Tier „oben“, bei uns jedoch „hinten“. Der aufrechte Gang hat das Koordinatensystem des
Menschen und der Menschenaffen um neunzig Grad verdreht, so dass „dorsal“ in Richtung
Kopfoberseite und „ventral“ in Richtung Kopfunterseite meint. Die räumliche Orientierung des Kopfes ist
jedoch bei Vier- und Zweibeiner direkt miteinander vergleichbar. Abschließend sollen noch kurz die
Begriffe für Schnittebenen genannt werden. Ein Sagittalschnitt trennt eine linke von einer rechten
Hirnhälfte; ein Horizontalschnitt unterteilt in eine obere und eine untere Hälfte, und ein Frontalschnitt
zergliedert in einen vorderen und einen hinteren Teil. Begriffe wie Längsschnitt und Querschnitt sind nur
1...,29,30,31,32,33,34,35,36,37,38 40,41,42,43,44,45,46,47,48,49,...69
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