FM-Wahrnehmung - page 11

FM - Wahrnehmung
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aon gmbh – academy of neuroscience
2. Die chemischen Sinne
Lebewesen entwickelten sich vor ca. drei Millionen Jahren ursprünglich im Wasser, das reich an chemi-
schen Substanzen war. Diese waren neben den Grundbausteinen des Lebens Nahrungsmoleküle,
Giftstoffe oder auch Signalstoffe. Von Anfang an waren die Lebewesen darauf angewiesen, diese Stoffe
wahrzunehmen und zu identifizieren, auf Genießbarkeit oder zumindest Unbedenklichkeit zu überprüfen,
Beute oder Sexualpartner zu finden. Die Chemorezeption ist der am weitesten im Tierreich verbreitete
und der älteste Sinn. Vielzellige Organismen registrieren chemische Signale aber nicht nur aus der
Umwelt, sondern auch aus ihrem Inneren, um über den physiologischen Zustand des Körpers informiert
zu sein. Entsprechend der Vielzahl der chemischen Verbindungen die für einen Organismus biologisch
bedeutsam sind, hat sich im Laufe der Evolution eine Vielzahl von chemischen Erkennungssystemen
herausgebildet. Die Mechanismen, die bei einzelligen Lebewesen ursprünglich dazu geeignet waren, die
Substanzen aus der Umgebung wahrzunehmen, dienen nun auch der Kommunikation der Zellen eines
vielzelligen Organismus und der Organsysteme untereinander. Wachstumsfaktoren, Hormone, Neuro-
transmitter und Neuromodulatoren wirken über diese Mechanismen. Chemorezeptoren messen beispiels-
weise die CO
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- und Sauerstoffkonzentration des Blutes oder die Zusammensetzung der Nährstoffe im
Darmtrakt.
In diesem Modul sollen aber nur diejenigen chemischen Sinne behandelt werden, welche dem Menschen
am geläufigsten sind, der Geschmacksinn und der Geruchssinn. Diese Sinne lassen sich beim Menschen
recht gut in Riechen (Olfaktion) und Schmecken (Gustation) unterscheiden. Olfaktion ist definiert als die
Perzeption chemischer Substanzen, die von Luft getragen werden. Im Gegensatz hierzu werden bei der
Gustation gelöste chemische Verbindungen aus der Nahrung wahrgenommen. In der Peripherie sind
beide Systeme in der Tat getrennt und werden parallel verarbeitet. In den höheren Verarbeitungsstufen,
auf der Ebene der Großhirnrinde werden beide Sinne aber zusammengeführt, das Nervensystem kann
nämlich nur durch das Zusammenwirken beider Modalitäten Aromen erkennen. Ein weiteres Charakte-
ristikum beider Systeme ist die Tatsache, dass sie über sehr starke Eingänge Grundbedürfnisse (Triebe)
wie Durst, Hunger und Sexualtriebe steuern aber auch Emotionen massiv beeinflussen.
2.1 Gustatorische Wahrnehmung
Psychophysisch gesehen scheint der Geschmackssinn mit seinen fünf Qualitäten ein sehr einfacher Sinn
zu sein - verglichen mit dem Geruchssinn, der tausende unterschiedliche chemische Verbindungen
detektieren kann. Allerdings sind Geschmacksreize mit starken Gefühlen von Zustimmung oder Abscheu
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