BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
4. Nervenzellen im Aktionsverbund
Die überwältigende Mehrheit der Neuronen interagiert mit ihresgleichen, nämlich mit anderen Neuronen.
Es können aber auch andere Zelltypen in das System des Signaltransports und der Signalverarbeitungen
involviert sein. So können am Anfang einer Signalkette Sinneszellen stehen, die ihre Signale auf Neuronen
übertragen. Und am Ende einer Signalkette können Drüsen- oder Muskelzellen die Signale von Neuronen
aufnehmen und in bestimmte zelluläre Reaktionen umsetzen. Schauen wir uns also nun der Reihe nach
an, wie Neuronen mit Neuronen interagieren, wie Sinneszellen Neuronen aktivieren, und schließlich, auf
welche Weise Neuronen Signale an Körperzellen übermitteln.
4.1
Neurone und Neurone
Erinnern wir uns: Jedes Neuron ist am Soma und seinen Axonen übersäht mit Tausenden von Synapsen.
Über jede einzelne dieser Synapsen kann, abhängig von den Neurotransmittern der präsynaptischen
Zellen und von den Rezeptoren der postsynaptischen Zelle, ein exzitatorisches oder ein inhibitorisches
Signal auf das Neuron übertragen werden. Diese postsynaptischen Potenziale sind, im Gegensatz zu den
Aktionspotenzialen, abgestufte oder „graduierte“ Reaktionen. Während letztere Alles-oder-Nichts-
Reaktionen sind, kann die Intensität der an den Synapsen übertragenen Signale unterschiedlich stark
ausfallen, denn es können viele oder nur wenige Neurotransmitter freigesetzt werden und damit stark
oder schwach erregen bzw. hemmen.
Das postsynaptische Potenzial, das an einer einzelnen Synapse entsteht, hat gewöhnlich nur einen
kleinen Effekt auf das postsynaptische Neuron. Ein EPSP oder ein IPSP breitet sich vom Ort seiner
Entstehung über die angrenzende Membranfläche aus. Die Verbreitung geschieht sehr schnell, sie erfolgt
passiv und nicht aktiv-selbstverstärkend wie an einem Axon, und sie wird mit zunehmender Entfernung
immer schwächer. Auch wenn der Vergleich ein wenig hinkt, aber dieser Prozess ähnelt in gewisser
Weise den Wellen, die ein ins Wasser geworfener Stein erzeugt.
Ob ein Neuron feuert oder nicht, hängt von der Bilanz all der einlaufenden aktivierenden und hemmenden
Signale ab, die in der Nähe des Axonhügels zusammenlaufen. Dieser Verrechnungsprozess wird als
Integration bezeichnet. Jedes Neuron integriert permanent alle postsynaptischen Potenziale. Dabei
können sich die Potenziale, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen generiert werden, gegenseitig
verstärken oder gegenseitig auslöschen. Zwei gleichzeitig einlaufende EPSPs oder IPSPs summieren sich
zu einem größeren EPSP bzw. IPSP. Laufen gleichzeitig ein EPSP und ein gleichstarkes IPSP ein,
löschen sich die Signale gegenseitig aus. Diese Art der Verrechnung wird räumliche Summation genannt.
Daneben gibt es noch eine zeitliche Summation, nämlich wenn sich die erregenden postsynaptischen
Potenziale, die kurz nacheinander an derselben Synapse erzeugt werden, zu einem einzigen stärkeren
Signal addieren.