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BM – Grundlagen der Neurowissenschaften
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aon gmbh – academy of neuroscience
Wenn nun die Summe aller inhibitorischen und exzitatorischen Signale, die im Bereich des Axonhügels
zusammenlaufen, die Membran bis zur Erregungsschwelle von ca. minus 65 Millivolt depolarisieren, dann
wird an dieser Stelle ein Aktionspotenzial ausgelöst und das Axon entlang weitergeleitet. Es gibt allerdings
in vielen Neuronen an Stellen der Dendriten, die „hot spots“ genannt werden, Verstärkungsmechanismen
für die passiv weitergeleiteten postsynaptischen Potenziale.
Alle Aktionspotenziale sind immer gleich stark. Sie laufen über die Axone bis in jedes einzelne
Endknöpfchen eines Neurons und verursachen dort die Exocytose, d.h. Ausschüttung einiger
synaptischer Vesikel. Die Frequenz, also die Anzahl der Aktionspotenziale, die dort pro Sekunde
einlaufen, entscheidet über die Menge der ausgeschütteten Neurotransmitter: viele Aktionspotenziale
verursachen über spannungsgesteuerte Calcium-Kanäle die Exocytose vieler Vesikel, wenige Signale
verursachen die Exocytose nur weniger Vesikel. Und die Art des Neurotransmitters, zusammen mit der
Art des empfangenden Rezeptors in der postsynaptischen Membran, entscheidet, ob dieses Signal als
aktivierend oder als hemmend interpretiert wird.
4.2
Sinneszellen und Neuronen
Wie eingangs erwähnt können Neuronen Signale nicht nur von anderen Neuronen, sondern auch von
Sinneszellen empfangen.
Erstaunlicherweise kann zur Zeit niemand wirklich mit Sicherheit sagen, wie viele Sinne der Mensch
tatsächlich besitzt, beziehungsweise, zu wie vielen verschiedene Sinneswahrnehmungen er fähig ist. So
herrscht beispielsweise noch immer eine große Uneinigkeit darüber, wie viele verschiedene
Geschmacksrichtungen ein Mensch wahrnehmen kann. Bei der einfachen Aufzählung der „klassischen“
menschlichen Sinne vergessen selbst gestandene Humanmediziner nach Sehen, Hören, Riechen,
Schmecken und Tasten den Gleichgewichtssinn. Nur wenig Beachtung finden auch der viscerale Sinn für
das Organempfinden sowie unser Temperatur-Sinn. Außerdem können wir noch Schmerz- und Juckreize
wahrnehmen. Unser Körper bzw. unser Gehirn können mittels innerer Rezeptoren die Glucose- und
Sauerstoffkonzentration detektieren. Unsere Haut besitzt eine großflächige Fotosensibilität und wir
können die Muskelspannung und die Torsion unserer Gelenke wahrnehmen. Bei Tieren gibt es eine Reihe
weiterer Sinne, nämlich Infrarotsinn, Magnetsinn und die Fähigkeit, polarisiertes Licht wahrzunehmen.
Allen Sinneswahrnehmungen gemeinsam ist ein basaler Mechanismus: Die Sinneszellen besitzen
charakteristische Strukturen, die durch ganz bestimmte chemische, elektromagnetische oder
mechanische Gegebenheiten derart verändert werden, dass durch diese Veränderung eine
Kettenreaktion ausgelöst wird, die in der Erzeugung eines Membranpotenzials mündet. Primäre
Sinneszellen haben kein eigenes Axon und leiten das Signal direkt an nachgeschaltete Zellen wie
Horizontalzellen und Bipolarzellen über spezialisierte Synapsen weiter, wie beispielsweise die Riechzellen
in der Riechschleimhaut der Wirbeltiere. Sekundäre Sinneszellen sind reine Rezeptorzellen, die das Signal