FM-Wahrnehmung - page 58

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FM - Wahrnehmung
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aon gmbh – academy of neuroscience
Im übrigen sind auch die otoakustischen Emissionen von der Stoffwechsellage abhängig. Es wird heute
angenommen, dass dem Mechanismus der Verstärkung der Wanderwelle (dem cochleären Verstärker)
ein physiologischer Prozess zugrunde liegen muss. Die Wanderwelle setzt sich also aus einem passiven
(primären Filter) und einem aktiven Anteil (sekundären Filter) zusammen.
Aus psychoakustischen Untersuchungen, Analysen der otoakustischen Emissionen sowie durch
theoretische Modellierungen ließ sich schlussfolgern, dass ein kraftproduzierender Prozess eingeschaltet
sein muss, der den Schwingungen der Wanderwelle folgt. Der aktive Bereich sollte sich nur in einem
kleinen Bereich der jeweiligen Wanderwelle befinden. Zudem wurde durch intrazelluläre Ableitungen der
Antworten innerer Haarzellen nachgewiesen, dass bereits deren Abstimmkurven so scharf sind wie die
der Hörnervenfasern; es ist also kein zusätzlicher neuronaler Verarbeitungsschritt zwingend notwendig.
Als Sitz des „Verstärkers“ werden heute die äußeren Haarzellen angesehen. Man nimmt an, dass diese
immer dann, wenn die Wanderwelle ihre frequenzspezifische Region erreicht, erregt werden und
zusätzliche mechanische Energie produzieren. Dies führt zu der drastischen und eng umgrenzten
Verstärkung der Wanderwelle im aktiven Bereich des Cortischen Organs. Die äußeren Haarzellen sind
demnach nicht nur Rezeptoren sondern auch Effektoren, welche die Schwingungseigenschaften der
Deckmembran und der Basilarmembran beeinflussen. Diese Kontraktionen werden als Ursache für die
otoakustischen Emissionen verantwortlich gemacht.
Mit den vibrationsabhängigen Spannungsänderungen und dem Calcium-Einstrom sind Längen- und
Formänderungen der äußeren Haarzellen verbunden, wobei langsame von schnellen Bewegungen
unterschieden werden. Die Depolarisation führt zu einer Verkürzung, die Hyperpolarisation zu einer
Streckung der Zellen. Durch ihrer Beweglichkeit modulieren die äußeren Haarzellen die durch Schall
ausgelöste passive Wanderwelle und beeinflussen aktiv die Abstimmung im Bereich der Bestfrequenz.
Während die langsame Bewegung im Millisekundenbereich abläuft, erfolgt die schnelle Bewegung viel
rascher; Vibrationen bis in den 100 kHz-Bereich werden diskutiert. Die treibende Kraft ist wahrscheinlich
nicht das Rezeptorpotential, sondern die Potentialdifferenz zwischen der Scala media und dem
interstitiellen Raum zwischen den Zellen des Cortischen Organs, die durch die Summenaktivität der
äußeren Haarzellen auftritt und mit der entsprechenden Frequenz schwingt. Es sei an dieser Stelle an den
elektrisch dichten Abschluss zwischen diesen beiden Kompartimenten erinnert (Tabelle 4.1). Der Motor
dieses schnellsten bekannten biologischen Oszillationsprozesses ist Prestin, ein Protein, das in großer
Dichte in der Membran der äußeren Haarzellen liegt und seine Länge in Abhängigkeit der Spannung
variiert. Die Haarzelle verkürzt sich mit einer Geschwindigkeit von 3-24 nm/s (Dauer: 50-200 ms).
Infolgedessen wird das Cortische Organ komprimiert, und die Position der Deckmembran und der
Basilarmembran bzw. der cochleären Trennwand verändern sich. Mit der Kontraktion der äußeren
Haarzellen nimmt die Steifheit der cochleären Trennwand zu. Durch die Verlagerung von Deckmembran
und Basilarmembran werden die Stereocilien tonisch abgeschert, wodurch sich der Arbeitswinkel und
damit die Transferfunktion der äußeren Haarzellen ändert.
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