FM - Wahrnehmung
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aon gmbh – academy of neuroscience
Abstimmkurve (‘tuning curve’) der Faser (Abb. 4.7). An einem bestimmten Punkt ist die Faser besonders
empfindlich für eine charakteristische Frequenz (CF) oder Bestfrequenz (BF). Die Abstimmkurven haben
bei den Säugetieren einen typischen Verlauf. Bei CF kleiner als 1 kHz nimmt die Empfindlichkeit für Töne
unterhalb oder oberhalb der Bestfrequenz gleichmäßig ab, bei halblogarithimischer Auftragung erscheint
die Abstimmkurve V-förmig. Bei CF größer als 1 kHz nimmt die Empfindlichkeit der Fasern zu den jeweils
höheren Frequenzen drastisch zu, so dass sich an einen niederfrequenten „Schwanz“ oder „Bauch“ eine
sehr fein abgestimmter Bereich mit steilen Flanken anschließt (Abb. 4.7 E). Zahlreiche Hinweise sprechen
dafür, dass das nichtlineare Verhalten mit den Eigenschaften der Wanderwelle zu erklären ist (vergl.
Abb. 4.6). Hierzu gehört z.B. die Tatsache, dass bei Sauerstoffmangel der steile Teil der Abstimmkurve
verschwindet. Während bei niedrigen Schalldruckpegeln die maximale Entladungsrate bei der Best-
frequenz auftritt, wird sie bei weit überschwelligem Schalldruck verschoben. Wenn CF kleiner als 1 kHz
ist, liegen die Entladungsmaxima bei höheren Tonfrequenzen, wenn CF größer als 1 kHz ist, bei
niedrigeren Tonfrequenzen. Demnach ist der Ort für die Abbildung einer Frequenz nicht auf der Basilar-
membran fixiert, sondern in gewissen Grenzen in Abhängigkeit von der Schallintensität verschoben.
Die Frequenzselektivität einer Faser wird nicht nur durch das Ortsprinzip der Wanderwelle, sondern auch
durch Koppelung der Antworten an die Phasen der Schallschwingungen erreicht. Die Ausschüttung der
Transmitter erfolgt an den afferenten Synapsen nur bei einer Abscherung der Cilien in Richtung der
äußeren Haarzellen und unterbleibt bei der Ablenkung in Gegenrichtung. Das bedeutet, dass Aktions-
potentiale nur in einem bestimmten Punkt der Schwingung generiert werden. Bis zu einer oberen
Grenzfrequenz von ca. 1 kHz kann die Faser den Schwingungen 1:1 phasengekoppelt folgen. Bis ca.
4-5 kHz bleibt die Phasenbeziehung erhalten, die Faser feuert jedoch nicht mehr bei jeder Einzel-
schwingung. Die Phasenkopplung erfolgt sowohl bei einfachen Sinusschwingungen als auch bei
komplexen, periodischen Schallereignissen. Oberhalb von 4-5 kHz geht diese enge Phasenkopplung
verloren, und zwar wohl deshalb, weil die Amplitude der Wechselspannung im Rezeptorpotential der
Sinneszellen stark abnimmt. Bis zu einer bestimmten Grenzfrequenz bildet also der Nerv die Zeitstruktur
des Schallreizes ab. Die kann vom Gehirn zu einer Periodizitätsanalyse genutzt werden. Erwähnenswert
ist die Tatsache, dass die Phasenkopplung bereits bei Schalldruckpegeln auftritt, bei denen eine
Erhöhung der Entladungsrate noch nicht messbar ist.
Im Gegensatz zu Sinustönen sind komplexe Schallereignisse, z.B. Sprache oder Musik, durch ein in der
Zeit wechselndes Frequenzgemisch (Klänge oder Geräusche) und variierende Amplitudenverläufe
gekennzeichnet. Bei ihrer neuronalen Verarbeitung kommen sowohl das Orts- als auch das Periodizitäts-
prinzip (s.o.) zum Tragen. Sehr wichtig in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass eine einzelne
Faser des Hörnerven das Schallsignal nicht eindeutig über die Antwortrate kodiert, da die Impulsrate
sowohl von der Frequenz als auch der Intensität des Reizes abhängt (Abb. 4.7). Phasenkoppelung ist bei
niedrigen Frequenzen relevant; mit zunehmender Tonhöhe könnten aber harmonische Frequenzanteile
ähnliche Antworten der Fasern auslösen, da diese nicht mehr die 1:1 Beziehung zwischen Schall-