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FM - Wahrnehmung
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aon gmbh – academy of neuroscience
schwingung und Aktionspotentialen aufrecht erhalten können (s.o.). Schließlich ist auch die tonotope
Abbildung auf der Cochlea - in Grenzen - durch den Schalldruckpegel beeinflussbar. Es ist also nur durch
den Vergleich der Entladungsmuster einer Gruppe oder eines Ensembles von Fasern möglich, die
biologisch relevanten Parameter zu erarbeiten. Genau dies geschieht in den nachgeschalteten
Hörzentren. Neben die drei bereits genannten Kodierungsmechanismen tritt also eine vierte Form, die
Ensemble- oder Populationscodierung. Bei der Wahrnehmung von Sprachlauten kommen wahrscheinlich
alle Mechanismen zum Tragen, d.h. Ortsprinzip, Zeitkode, Antwortratenkode und Populationskode.
4.9 Cortex und Sprache
Seit der Mitte des letzten Jahrhunderts versucht man, die neuronalen Grundlagen der Sprache zu
ergründen. Der französische Chirurg Broca und der deutsche Neurologe Wernicke konnten
Sprachdysfunktionen in Zusammenhang mit Läsionen der linken Hemisphäre bringen. Sie unterstützten
damit die Lokalisations-Hypothese, die davon ausgeht, dass bestimmte Funktionen bestimmten
Hirnarealen eindeutig zuzuordnen sind. Die Wernicke-Aphasie ist eine sensorische Sprach-Fehlleistung,
bei der der Patient unfähig ist, Wörter zu verstehen oder Laute zu einer kohärenten Sprache
zusammenzufügen. Sie tritt bei Läsionen im Bereich der Area 22 und umliegender Gebiete des
Temporallappens auf. Die Broca-Aphasie hingegen ist Folge von Schädigungen der Areale 44 und 45 im
Frontallappen. Sie ist eine motorische oder expressive Aphasie, bei der vor allem die spontane Sprache
gestört ist, was sich in einer sehr langsamen und zögerlichen Sprechweise und einer sehr einfachen und
fehlerhaften Grammatik manifestiert. Mittlerweile kategorisiert man eine große Zahl weiterer
Fehlfunktionen, die mit Läsionen des Cortex einhergehen. Die transcorticale Aphasie führt zu einer
starken Abnahme der spontanen Sprachproduktion. Die Patienten sind aber weiterhin in der Lage, Wörter
zu verstehen und zu wiederholen. Umgekehrt verhält es sich bei der Leitungsaphasie. Betroffene
Personen können ohne Schwierigkeiten sprechen, Objekte benennen und Sprache verstehen, vermögen
aber nicht, Worte zu wiederholen. Menschen die nicht in der Lage sind, Objekte zu benennen, während
ihr sonstiges Sprachvermögen und das Sprachverständnis nicht beeinflusst sind, leiden unter der
anomischen oder amnestischen Aphasie. Sprachstörungen können darüber hinaus auch beim Schreiben
und Lesen auftreten. Sie werden dann als Agraphie bzw. Alexie bezeichnet.
Geschwind hat aus der Kenntnis neurologischer Befunde heraus ein serielles Modell der Neurobiologie
der Sprache formuliert (Abb. 4.10a). Danach findet die Assoziation von Eingangssignalen aus dem
auditorischen Cortex zu sinnvollen sprachlichen Einheiten, bzw. das Erkennen von Wörtern, im
Wernickeschen Areal statt. Ein mächtiges Faserbündel, der Fasciculus arcuatus, verbindet diese
sensorische Sprachzone mit der motorischen, dem Brocaschen Areal, in dem die Artikulation initiiert wird