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FM - Wahrnehmung
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aon gmbh – academy of neuroscience
4.10 Cortex und Musik
Musik ist ein vielschichtiges Phänomen. In wohl jedem Kulturkreis wird sie genutzt, um zu kommunizieren,
Emotionen auszudrücken und auszulösen. Reaktionen, die durch Musik ausgelöst werden, reichen von
starker Melancholie bis hin zu überschäumender Freude, von körperlichem Wohlbefinden bis zu
Erschauern.
Reduziert man Musik auf ihre physikalischen Grundlagen, so besteht sie aus komplexen periodischen
Schallereignissen, die in Grundfrequenz oder Grundton und Obertöne zerlegt werden können. Klänge
entstehen, wenn Grundfrequenz und Obertöne in einem ganzzahligen, harmonischen Verhältnis
zueinander stehen. Ist dies nicht der Fall, so bezeichnet man ein Schallereignis als Geräusch. Die
Zusammensetzung der Obertöne unterscheidet sich für jedes Instrument in charakteristischer Weise und
bestimmt seine Klangfarbe. Diese wird darüber hinaus vom Einschwingverhalten zu Beginn des
Schallereignisses und der Phasenbeziehnung der Frequenzanteile bestimmt. Die Grundfrequenz
entspricht dem psychoakustischen Parameter Tonhöhe, das Spektrum der Obertöne dem Parameter
Klangfarbe. Neben diesen beiden Parametern analysiert das Gehirn die Läutstärke der Musik, die Dauer
der Noten, Rhythmus und Melodie.
Unsere Kenntnisse bezüglich der neuronalen Grundlagen der Musikwahrnehmung sind noch sehr
beschränkt, was angesichts der Vielfalt des Phänomens nicht überrascht. So muss bedacht werden,
dass z.B. bei der Wahrnehmung und Erkennung einer Melodie das Kurzzeitgedächtnis involviert ist, und
dass hochgradige Leistungen einer abstrakten Mustererkennung vollbracht werden.
Bei der Analyse der Beziehungen zwischen Gehirn und Musikwahrnehmung kommen im Wesentlichen
vier Methoden zum Einsatz. Dies sind psychophysische Experimente, Anästhesie einer der Hemisphären,
Elektroencephalographie und die neuen bildgebenden Verfahren. Untersuchungen werden sowohl an
gesunden Versuchspersonen als auch bei Patienten durchgeführt, die aufgrund eines Hirnschlags,
Hirnverletzungen oder operationsbedingter Läsionen Fehlleistungen aufweisen.
Im Rahmen der psychophysischen Experimente nehmen Untersuchungen zur Lateralisation der
Repräsentation von Musik im Gehirn einen breiten Raum ein. Bei diesen Experimenten zum sogenannten
dichotischen Hören werden den Versuchspersonen über Kopfhörer Testsignale vorgespielt, wobei sich
die Schallreize für das rechte Ohr von denen für das linke Ohr unterscheiden. Man macht sich die
Tatsache zu Nutze, dass die linke Hirnhälfte hauptsächlich vom rechten Ohr getrieben wird und die rechte
Hirnhälfte vom linken Ohr. Auf diese Weise lassen sich jeweils die spezifischen Leistungen der rechten
und der linken Hemisphäre des Gehirns zuordnen.